„Wer mitfühlend mit sich selbst umgeht ist egoistisch und schwach.“ Diese und ähnliche Glaubenssätze halten uns oft davon ab, gut für uns selbst zu sorgen. Wir sind oft streng und hart mit uns selbst, kritisieren uns harsch und glauben, auf diese Art noch leistungsfähiger zu werden. Doch das Gegenteil ist der Fall, sagt die Forschung. Die gute Nachricht: Selbstmitgefühl kann man lernen, wie eine Sportart oder ein neues Hobby.
Ein großer Teil von Menschen betrachtet Mitgefühl als eine wichtige und lobenswerte Eigenschaft. Wir verbinden es mit Freundlichkeit, Warmherzigkeit, Empathie, Sympathie und dem (ehrbaren) Wunsch, anderen zu helfen.
Wenn es allerdings darum geht, Mitgefühl für uns selbst zu entwickeln, da fällt die Beurteilung über diese Kompetenz schon weniger positiv aus. Rasch tauchen Bilder und Vorstellungen auf, Selbstmitgefühl sei egoistisch, selbstsüchtig oder narzisstisch. Nicht selten herrscht die Meinung, wer mit sich selbst freundlich und mitfühlend umgeht, lässt sich leichter gehen und ist schwach. Selbstkritik wird häufig als wichtiger Motivator für gute Leistungen angesehen. Eine Reihe von Glaubenssätzen hindert uns daran, fürsorglich und mitfühlend mit uns selbst umzugehen. Frauen tendieren besonders dazu, sich um das Wohl aller anderen zu kümmern und dabei das eigene völlig zu vergessen.
Die amerikanische Forscherin Kristin Neff hat sich vor mehr als 20 Jahren als erste auch wissenschaftlich mit dieser Thematik beschäftigt und bei ihren Forschungen viele dieser Glaubenssätze als falsche Mythen entlarvt. Sie hat herausgefunden, dass Selbstmitgefühl eine Fähigkeit ist, die man lernen und entwickeln kann und die – im Gegensatz zur gängigen Meinung – dazu führt, dass Menschen fürsorglicher und weniger egozentrisch werden. Sie sind resilienter, erholen sich von Rückschlägen leichter, leben gesünder, sind weniger depressiv, fühlen sich sozial verbundener, gestehen Fehler leichter ein und kommen insgesamt mit ihren Mitmenschen besser zurecht als Menschen, die diese Kompetenzen nicht haben und die hart und unfreundlich mit sich selbst ins Gericht gehen.
Heute gibt es mehr als 3000 Forschungsarbeiten, die zeigen, wie gewinnbringend es ist, wenn Menschen lernen, wohlwollend und mitfühlend mit sich selbst umzugehen.
Basierend auf diesen Ergebnissen hat Kristin Neff gemeinsam mit dem Psychologen Chris Germer 2010 ein evidenzbasiertes Kursprogramm entwickelt, dass Menschen darin unterstützt, Selbstmitgefühl auszubilden und zu verfestigen, das Mindful Self-Compassion Programm (MSC), zu Deutsch „Achtsames Selbstmitgefühl“. Mehr als 200.000 Menschen haben weltweit an diesem Programm bereits teilgenommen.
Selbstmitgefühl bedeutet, sich selbst so zu behandeln, wie jemanden, der einem am Herzen liegt. Es basiert auf den Säulen der Achtsamkeit, der Selbstfreundlichkeit und dem Verständnis, dass uns unser (unperfektes) Menschsein miteinander verbindet.